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Die Schlecht-Schreib-Reform

Bastion schöne Aussicht

 

Der verschrobene, verschobene, angeblich entschiedene, aber immer noch tobende Kampf um eine Reform der deutschen Rechtschreibung zeigt sich im Ansatz seltsam unbeeindruckt von der Tatsache, dass die Schrift selbst und mithin die Rechtschreibung von Ihrer materiellen und technischen Basis her einem historischen Veränderungsprozeß unterliegt, den man als Revolution, Innovation, Erosion, Zerfall oder Babylonisierung bezeichnen kann.

Während ministeriale Gremien um die letzten Feinheiten der Groß- und Kleinschreibung ringen, haben SMS, e-mail oder die Launen des postmodernen Sprachdesigns die Kleinschreibung in ihren jeweiligen Segmenten längst massenwirksam durchgesetzt. Während Politiker, Literaten, Redakteure, Lektoren über winzige Nuancen in Orthographie und Getrennt- oder Zusammenschreibung debattieren, ergießt sich aus dem Internet eine Overkill-artige Flutwelle von orthographisch, grammatikalisch, semantisch und syntaktisch „falschen“ Sprachformen über die Welt, die sich so real festsetzen und denen so wenig die Puste ausgeht, dass der Begriff „falsch“ Gänsefüßchen zum Festkrallen brauchen, damit er nicht gleich fortgespült wird.

Schön wär’s, wenn die Rechtschreibreform auch ein Gut- und Schönschreibreform wäre, wenn man der Genauigkeit des sprachlichen Ausdrucks, dem guten Stil, der treffenden Wortwahl und der sauberen Formulierung wieder mehr Aufmerksamkeit widmen würde. Doch alle Welt pflegt einen betont laxen Umgang mit Sprache. Motto: irgendwie, egal und du weißt schon, was ich meine. Wer nach Feinheiten und Nuancen fragt, gilt leicht als Haarspalter und geistiger Angeber. Das Internet öffnet 100000 Beliebigkeiten Tür und Tor und veröffentlicht permanent neue. Eigene Sprachregelungen, die nicht nur die Orthographie, sondern auch die Grammatik und den „Geschmack“ der Wörter verändern. Die von den Rechtschreibreformern eroberten Bastionen sind weniger kämpferische Frontstellungen, sondern Plattformen der Aussicht auf das bunte, muntere Treiben derer, die da texten, simsen, mailen, downloaden, chatten usw. Das ausgerechnet in dieser Phase ein Kampf um die Rechtschreibreform entbrennt, entbehrt nicht einen gewissen sprachgeschichtlichen Ironie. Es ist, als sollten die strengen Normmaße für Türen und Fenster festgelegt werden, die in baufälligen Wänden, wackligen Zargen und durchgerosteten Scharnieren gar keinen verlässlichen Halt mehr haben.

Die Sprache, wie sie uns in der Schrift erscheint, unterliegt einer objektiven Liberalisierung und Pluralisierung. Es wird in Zukunft in vielen Fällen nicht nur eine, sondern zwei oder mehrere Schreibweisen, mehrere eingebürgerte Formen des Umgangs mit Sprache geben. Warum auch nicht? Zu Goethes Zeit war es nicht anders. Was Millionen sprachlich tun, kann keine Instanz mit autoritärem Gestus als falsch diskreditieren.

 

P.P.

Peter Peters

 

 

 

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Peter P. Peters
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