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Dialektik der Auflösung

Thesen von Peter Peters

 

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Aufklärung im weiteren, nämlich im Sinne „allgemein fortschreitenden Bewusstseins“ (Horkheimer/Adorno) war immer schon Auflösung von alten Vorstellungen, die geeignet waren, Menschen zu manipulieren, auszubeuten, zu beherrschen und die Entwicklung eines menschenwürdevollen Selbstbewusstseins zu behindern. Die Aufklärer waren Auflöser und zielten auf die Auflösung der Unvernunft und Lüge, der Anmaßung und Unmenschlichkeit.

 

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Nach dem „Rückfall in die Barbarei“ von 1933/45, scheint Aufklärung im 21. Jahrhundert in etlichen Teilen der Erde zumindest insoweit abgeschlossen, als es kaum noch „Aufklärer“ gibt, die den Weg zu einem anderen Denken und Leben weisen. Oder anders gesagt: es gibt sie überall und sie werben für Produkte, Reisen, Erlebnisse und Wahrheiten aller Art. Im Ganzen aber erlebt der heutige Mensch eine nie dagewesene Überflutung und Überforderung, einen gigantischen Schwall von Bildern, Konzepten, Darstellungen aus tausend Kanälen. Keine Generation zuvor hat eine solche Verunsicherung erlebt, wenn sie sich fragte, wie man die eigenen Kinder gut auf die Zukunft in 20,30 Jahren vorbereitet. Dem Gefühl der Auflösung entspricht ein Gefühl des durch- und fort-gespült Werdens. Die ganze Landschaft, in der wir uns bewegen, verändert sich wie in Zeiten von Vulkanismus und Erdbeben. Eine zentrifugale Explosion und Expansion dehnt den Raum unendlich aus, und wir spüren eine Druckwelle, die uns überall hin treibt, nur nicht ins Zentrum.

 

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Der Prozeß der Auflösung verdankt sich insbesondere einer zu Beginn des dritten Jahrtausends ungemein beschleunigten technischen Entwicklung.. Durch Internet und Cyberspace, zwischen zahllosen Kanälen, logins, chatrooms, email-Kontakten, mobiler Komunikation usw. segelt das Subjekt auf dem erdumspannenden Ozean unendlicher und ungeahnter Möglichkeiten – zumindest virtuell. Unsere Vorstellung von Zwischenmenschlichkeit und Organisation, von Verbindlichkeit und menschlicher Nähe unterliegen einer rasanten, bodenlosen Veränderung. In einer Gesellschaft, die so liberal und permissiv ist wie keine zuvor, eröffnet das Internet alles für alle, mehr denn je auch jenseits von Kontrolle, Zensur und Restriktion. Es ist ein Medium, ja vielleicht der Motor der Auflösung. Die Wahrheit liegt in dem, was sich formiert: im Internet, in der Gesellschaft, im Denken, in uns.

 

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Das Virtuelle ist nicht das Fiktionale, zu dem wir Distanz haben und dessen Wahrheitsgehalt wir säuberlich vom erfundenen Anteil unterscheiden. Das Virtuelle ist die Fiktion, von der wir Teil geworden sind, und die wir zwar anscheinend nach Belieben manipulieren können, in die wir aber oft viel mehr verstrickt sind, als wir ahnen. Das Virtuelle ist nicht, wie das Fiktionale, klar unterschieden vom Realen. Das Virtuelle erzeugt selbst eine Wirklichkeit eigener Art, die teils spukhaft, teils hochwirksam in die wirkliche Wirklichkeit eindringt und darin mitwirkt.

 

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Auflösung ist nicht dasselbe wie Zerfall, obwohl sie als solcher erfahren werden kann. Doch die Spannweite vom passiv-reflexiven Sichauflösen bis zum aktiv-transitiven ich-löse-es-auf bietet enorme Chancen, die wir im Zustand des Zerfalls kaum hätten. Der Satz „Wir lösen uns auf“ kann sowohl aus der Perspektive des Opfers wie aus der des Handelnden gesagt werden. Dies ist der besondere Charme und die Ironie im Begriff der Auflösung: seine subjektiv-objektive Janusköpfigkeit, die ihn den Aufgelösten als hinzunehmendes Schicksal und den Auflösenden als anzupackendes Projekt erscheinen lässt.

 

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Das Medium der aufklärerischen Emanzipation war das Wort, das Medium der Auflösung ist das Bild. Die Worte und Schriften der Aufklärer waren Degen und Säbel, mit denen sie gegen die Realität ihrer Zeit fochten, kritisch, indem sie ihr Forderungen und Leitideen entgegensetzten. Von diesem kritischen Impetus und Spannungsverhältnis zur Realität haben die Wörter historisch viel eingebüßt. Den Bildern dagegen ist die kritische Botschaft schon immer äußerlich gewesen. Aber heute, im gigantischen postmodernen Selbstbedienungsladen der Millionen Bilder, löst sich die Frage nach Realitätsbezug, Wahrheitsgehalt, Relevanz der Bilder zunehmend auf. Jedes Wort ist auch ein Bild, aber keineswegs jedes Bild ein Wort, und das Sehen ist stärker als das Hören. Die heutigen Leitbilder und Ideale, das, was schick, trendy, modisch, cool und nachahmenswert ist, sind auf Bildern zu sehen, marktgerecht gestylt und frisiert von der zuständigen Designer-Generation. Diese Bilder lügen und zwar auf einem immer höheren technischen Niveau der Manipulation. Aber zugleich mit einem Unschuldsblick, wie ihn die Wörter nie hatten.

 

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„Und überfültts. Wir ordnens. Es zerfällt./ Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.“

Rilkes Worte aus der 1922 erschienenen 8. Duineser Elegie erscheinen heute fast prophetisch. Sie lenken aber auch das Augenmerk darauf, daß Auflösung unser menschliches Schicksal ist. Das Leben selbst ist nur denkbar als permanenter Prozeß der Auflösung und Umgestaltung. An uns ist es, diesem manchmal etwas unheimlichen Prozeß der Auflösung eine gewisse Aufhellung und Auf-Klärung abzugewinnen, vielleicht sogar endliche Antworten auf alte, unendliche Fragen. Nach und während der Auflösung oder zumindest Relativierung all der Dogmen, Ismen und Ideologien, gottgegebenen Unterdrückungsmechanismen und Denkverbote hat der Mensch des dritten Jahrtausends mehr denn je die Möglichkeit, ja er steht vor der Notwendigkeit, zu klären, wie er auf dem Planeten Erde leben will. So könnte durch die Auflösung keine trübe Brühe, sondern ein klarer Ozean entstehen – oder wenigstens klare Pfützen von schönen Lösungen, in denen wir uns spiegeln können.

 

Medium digital, universelle Prozessierbarkeit,

Wahrheit als Datei, Texte, Töne, Bilder, Filme (Illusion des Lebens selbst)

Das Ungesagte, das Geheimnis, das Unsichtbare und Unhörbare

 

 

 

 

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